Ein Urteil, das gerade den ganzen Coaching-Markt aufrüttelt.
Normalerweise findest du auf meinem Blog keine juristischen Updates oder Gesetzestexte. Das ist nicht mein Stil und offen gesagt auch nicht mein Lieblingsfeld.
Aber das neue BGH-Urteil zur ZFU-Zulassungspflicht wird den Coaching-Markt verändern. Und deshalb schreibe ich heute diesen Artikel. Nicht, weil ich Panik verbreiten will. Sondern weil ich dir helfen möchte, dich gut informiert und sicher aufzustellen.
Ja, ich bin Juristin. Aber dieser Artikel ist keine Rechtsberatung, sondern eine Zusammenstellung relevanter Infos, Urteile, Marktbeobachtungen und praktischer Tipps. Und: Auch mich betrifft das direkt.
Ich werde selbst den Zertifizierungsprozess angehen. Nicht weil ich es toll finde, sondern weil ich Verantwortung trage für meine Programme und meine Teilnehmer.
In den letzten Wochen ist in vielen Coaching- und Unternehmer-Kreisen ein Thema plötzlich ganz heiß geworden: ZFU. Fernunterricht.
Was früher kaum jemand auf dem Schirm hatte, ist jetzt auf einmal ernst und für manche sogar existenzbedrohend.
Der Auslöser ist ein neues BGH-Urteil (Az. I ZR 221/22), das klarstellt:
Auch strukturierte Coaching-Programme – mit Modulen, Lernzielen und Online-Begleitung, brauchen eine Zulassung durch die ZFU, selbst im B2B-Bereich.
Und genau das ist neu. Denn bisher war der B2B-Markt davon weitgehend ausgenommen. Coaches, die mit Selbstständigen, Unternehmern oder Teams arbeiten, mussten sich mit der ZFU meist nicht beschäftigen. Doch das Urteil verändert die Spielregel.
Warum das gerade jetzt so hochkocht?
Weil viele merken:
- Die eigene Angebotsstruktur passt ziemlich genau auf das, was das Gericht als zulassungspflichtigen Fernunterricht definiert.
- Es reicht nicht mehr, Kunden zufriedenzustellen, man ist auch von außen abmahnbar.
- Und: Die rechtlichen Risiken sind real, wir sprechen von Umsatzrückforderungen, Abmahnungen und unwirksamen Verträgen.
Was das für dich bedeutet, wie du prüfen kannst, ob dein Angebot betroffen ist und welche Wege dir jetzt offenstehen, liest du in diesem Artikel.
Was bisher war und was sich jetzt verändert
Vor dem Urteil: Der Graubereich war bequem
Viele Coaches haben sich bisher auf den „B2B-Bonus“ verlassen:
„Wenn ich mit Selbstständigen oder Unternehmern arbeite, bin ich raus aus dem ZFU-Thema.“
Jetzt: Rechtliche Klarheit mit ernsten Konsequenzen
Mit dem neuen BGH-Urteil (Az. I ZR 221/22) ist erstmals höchstrichterlich bestätigt:
Ein Coaching-Angebot kann auch dann unter das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) fallen, wenn es sich an Selbstständige oder Unternehmer richtet, also an eine rein berufliche Zielgruppe (B2B).
Und genau das ist der Gamechanger. Denn bislang glaubten viele, die ZFU-Pflicht gelte nur im B2C-Bereich, etwa bei Endverbrauchern, Schülern oder Privatpersonen.
Das ist nun aber nicht mehr haltbar.
Das Gericht hat deutlich gemacht: Entscheidend ist nicht, an wen du verkaufst, sondern wie dein Angebot aufgebaut ist.
Ein Angebot gilt rechtlich als Fernunterricht, wenn diese vier Merkmale gleichzeitig erfüllt sind:
- Mediengestützte Vermittlung:
Die Inhalte werden räumlich getrennt, z. B. online oder per E-Mail, übermittelt. - Strukturierte Lerninhalte:
Es gibt Module, feste Abläufe, Lehrpläne oder Lernziele. - Individuelle Betreuung oder Lernerfolgskontrolle:
Du gibst Feedback, beantwortest Fragen, prüfst Fortschritte oder nutzt Tests. - Vertraglich vereinbart und entgeltlich:
Es wird eine bezahlte Leistung mit vertraglicher Bindung angeboten.
Wenn alle vier Kriterien zutreffen, besteht ZFU-Zertifizierungspflicht.
Beispiele aus der Praxis: Wann ZFU-Pflicht besteht
ZFU-Pflichtig wäre z. B.:
Beispiel 1: „Selbstwert stärken in 8 Wochen“ – Persönlichkeitsentwicklungsprogramm mit Lernmodulen
Ein Coach bietet ein Online-Gruppenprogramm für Frauen an, das über 8 Wochen läuft. Es enthält:
- Wöchentliche Videolektionen zu Themen wie „Innere Kind Arbeit“, „Selbstannahme“ oder „Grenzen setzen“
- Arbeitsblätter und Reflexionsfragen
- Zugang zu einer begleitenden Telegram-Gruppe für Fragen
- 3 Live-Calls mit Q&A und Gruppenfeedback
- Ziel: mehr Selbstvertrauen und emotionale Stabilität
ZFU-relevant, weil:
Das Programm ist strukturiert, mediengestützt, verfolgt Lernziele und bietet Rückfragen + Betreuung.
Beispiel 2: Spirituelles Coaching mit festen Modulen und Feedback
Eine Anbieterin verkauft ein 6-Wochen-Transformationsprogramm zur spirituellen Neuorientierung. Inhalte sind:
- Module zu „Intuition stärken“, „Meditation & Erdung“ etc.
- Zugang zu geführten Audios und schriftlichen Übungen
- Wöchentlicher Upload von Erkenntnissen – mit schriftlichem Feedback durch die Coachin
- Abschluss-Session mit Ziel-Review
ZFU-relevant, weil:
Das Programm vermittelt Wissen in Modulen, nutzt Lernerfolgskontrolle (Reflexionsabgaben mit Feedback) und ist nicht rein beratend.
Beispiel 3: 1:1 Persönlichkeitscoaching mit strukturierter Curriculum-Begleitung
Ein Einzelcoaching wird angeboten als „12-Wochen-Reise zu dir selbst“ mit:
- wöchentlichen Zoom-Sessions à 90 Minuten
- einem festen Ablaufplan mit Themen pro Woche (z. B. Schattenarbeit, Glaubenssätze, Visionsarbeit)
- Aufgaben zwischen den Sessions
- Zugriff auf Materialien und gelegentliche Rückmeldung via Mail
ZFU-relevant, weil:
Obwohl es 1:1 stattfindet, ist es didaktisch strukturiert. Der Wissenstransfer ist zentral, nicht die spontane Prozessbegleitung.
Diese Angebote unterscheiden sich deutlich von rein situativen Coachings, bei denen keine Inhalte vorgegeben, sondern gemeinsam im Gespräch erarbeitet werden.
Sobald du aber mit einem festen Ablauf, Übungen, Wissensvermittlung und Feedbackstrukturen arbeitest, kommst du in den Geltungsbereich des FernUSG.
Also immer dann, wenn alle 4 Kriterien erfüllt sind.
Wann dein Angebot nicht zertifizierungspflichtig ist
Viele Coaches glauben aktuell:
„Ich biete ja nur einen Selbstlernkurs ohne persönliche Begleitung an, damit falle ich bestimmt nicht unter die ZFU-Pflicht.“
Doch ganz so einfach ist es nicht.
Es stimmt: Nicht jedes Online-Angebot muss zertifiziert werden. Aber sobald dein Kurs didaktisch strukturiert ist, bestimmte Lernziele verfolgt oder im Rahmen eines entgeltlichen Vertrags verkauft wird, kann selbst ein scheinbar „betreuungsfreier“ Kurs unter das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) fallen.
Genauso wichtig wie zu wissen, wann dein Coaching-Angebot unter die ZFU-Pflicht fällt, ist die Kenntnis der Ausnahmen. Hier die genaue, differenzierte Einordnung nach aktueller Rechtsprechung und Auslegung der ZFU.
Laut BGH-Urteil (Az. I ZR 221/22), den https://zfu.de/veranstaltende/zulassung, sowie Stellungnahmen von LSWW und easyRechtssicher besteht in folgenden Fällen in der Regel keine Zertifizierungspflicht:
Kein Fernunterricht liegt typischerweise vor, wenn:
- deine Inhalte ausschließlich live & individuell in 1:1 oder Gruppen-Calls vermittelt werden
- über 50 % der Inhalte synchron (also live) stattfinden
- es keinen festen Modulplan oder Lehrplan gibt
- du rein beratend, sparrend oder prozessorientiert arbeitest, ohne Lernkontrollen oder strukturierte Wissensvermittlung
- du kein vertragliches Lernziel oder Versprechen formulierst
Warum der Staat jetzt durchgreift und was politisch dahintersteckt
Dass der Coaching-Markt jetzt unter verstärkter Beobachtung gerät, ist kein Zufall.
Was lange als freier Raum galt, geprägt von Innovation, Intuition und individueller Entwicklung, wird zunehmend als regulierungswürdiger Bildungsmarkt betrachtet.
Und das hat mehrere Gründe:
1. Verbraucherschutz: Zwischen Vision und Versprechen
In den letzten Jahren häuften sich Beschwerden bei Verbraucherzentralen und Gerichten:
- Coaching-Angebote mit überzogenen Erfolgsversprechen („6-stellig in 6 Wochen“)
- Ausbildungen ohne staatliche Anerkennung, aber mit „Zertifikat“
- Verträge, die Rücktritt oder Kündigung unmöglich machen
- Programme mit Preisen, die rechtlich als Wucher gelten
Der Gesetzgeber sieht hier ein wachsendes Risiko für Verbraucher, auch im B2B-Sektor. Denn auch Selbstständige oder Solopreneure gelten rechtlich in vielen Fällen als schützenswert.
Das BGH-Urteil ist daher auch ein Signal:
Wer Wissen strukturiert vermittelt, egal ob spirituell, strategisch oder finanziell, muss sich an bestimmte Regeln halten.
2. Der Markt ist erwachsen geworden, jetzt kommen die Regeln
Der Online-Coaching-Markt ist längst kein Nischenmarkt mehr. Laut Statista wächst der digitale Coaching-Bereich jährlich um 15–20 %. Millionenumsätze werden erzielt, oft mit wenig Transparenz oder einheitlichen Standards.
Und das bleibt dem Staat natürlich nicht verborgen.
Was folgt, ist typisch für stark wachsende Branchen: Erst kommt die Freiheit. Dann die Regeln. Dann die Kontrollen.
Die ZFU (Zentralstelle für Fernunterricht) ist dabei das zentrale Werkzeug der Regulierung, vergleichbar mit der Lebensmittelkontrolle im Einzelhandel: Nicht jeder will sie, aber sie dient der Qualitätssicherung.
3. Und ja, es geht auch ums Geld
Ganz ehrlich:
Natürlich verfolgt der Staat mit dieser Regulierung auch wirtschaftliche Interessen.
Denn:
- ZFU-Zulassungen sind gebührenpflichtig
- Genehmigungsverfahren bringen Verwaltungseinnahmen
- Klar regulierte Bildungsangebote lassen sich steuerlich, förderrechtlich und wirtschaftspolitisch besser einordnen
Wenn Coaching zum Bildungsmarkt wird, will der Staat ein Stück vom Kuchen abhaben.
Und dieser Kuchen ist groß, gerade im Bereich digitaler Transformationsbegleitung, Mentaltraining, Business-Coaching oder Persönlichkeitsentwicklung.
4. Das langfristige Ziel: Qualität, Kontrolle und Zugang
Regulierung klingt oft nach Einschränkung. Aber auf lange Sicht zielt die Entwicklung auch darauf ab, Coachingangebote:
- vergleichbar zu machen
- qualitätsgesichert anzubieten
- förderfähig zu gestalten (z. B. über Bildungsgutscheine oder steuerliche Absetzbarkeit)
Das ist Fluch und Segen zugleich: Denn je offizieller der Markt wird, desto größer werden auch die Hürden für kleinere Anbieter, die nicht skalieren, sondern begleiten wollen.
Was hier gerade passiert, ist mehr als ein juristisches Detail. Es ist ein politischer Richtungswechsel:
Coaching wird nicht mehr als freie Entfaltungsform, sondern als regulierungswürdige Bildungsleistung behandelt. Und wer dauerhaft sichtbar sein will, wird sich entweder anpassen, oder bewusst neue Wege gehen müssen.
Was du jetzt tun kannst
Jetzt stellt sich die Frage: Wie gehst du mit dem neuen Rechtsrahmen um?
Hier sind drei mögliche Wege, keiner davon ist pauschal richtig oder falsch. Entscheidend ist: Was passt zu dir, deinem Angebot und deinem Anspruch.
Option 1: ZFU-Zulassung beantragen, wenn du langfristig standardisiert arbeiten willst
Wenn du mit einem strukturierten Programm arbeitest, das:
- über feste Module, Lernziele und Arbeitsmaterialien verfügt
- über längere Zeit läuft
- Lernerfolge überprüft oder Rückfragen zulässt
- und du dein Angebot langfristig genauso belassen willst,
dann ist die ZFU-Zertifizierung der konsequente Weg. Sie schafft rechtliche Sicherheit und kann mittelfristig sogar ein Wettbewerbsvorteil sein, weil immer mehr Kunden genau darauf achten werden.
Wichtig zu wissen:
- Das Zulassungsverfahren dauert meist mehrere Monate
- Die Kosten liegen inkl. Beratung und Vertragserstellung oft bei 5.000–10.000 €
- Auch AGBs, Widerrufsrecht und Datenschutz müssen entsprechend angepasst werden
- Änderungen am Kurs müssen regelmäßig nachgemeldet und genehmigt werden
Option 2: Dein Angebot bewusst neu positionieren
Du willst dein Angebot rechtssicher halten, aber keine teure Zertifizierung durchlaufen? Dann kannst du deine Programme so gestalten, dass sie nicht mehr unter die ZFU-Pflicht fallen.
Das bedeutet:
- Keine festen Lernziele, sondern individuelle Prozessbegleitung
- Keine verpflichtenden Aufgaben oder Feedback-Abgaben
- Keine Onlinekurse mit festen Modulen – sondern offene, intuitive Sessions
- Keine Versprechen wie „In 6 Wochen zu XY“ – sondern Einladung zur Reflexion & Entwicklung
Fazit: Deine Kommunikation & Verträge professionell absichern
Egal welchen Weg du gehst, deine Außenwirkung muss klar und rechtssicher sein.
Denn viele Probleme entstehen nicht durch das, was du tust, sondern durch das, was du sagst.
Achte besonders auf:
- Deine Webseitentexte (keine Erfolgsversprechen, keine Ausbildungsversprechen ohne Zulassung)
- Deine Verträge & AGBs (inkl. Widerrufsrecht, Leistungsklarheit, Preisstruktur)
- Die Formulierung deiner Ziele & Nutzenversprechen
- Die Widerrufsbelehrung & Datenschutzerklärung
Fazit: Klarheit schaffen, Verantwortung übernehmen und deinen eigenen Weg wählen
Das neue BGH-Urteil ist keine Kleinigkeit. Es verändert gerade grundlegend, wie Coachingangebote rechtlich eingeordnet werden. Was früher als freie, kreative Form der Unterstützung galt, wird jetzt als Bildungsleistung gesehen, mit allen Konsequenzen.
Das bedeutet für dich als Coach:
- Du darfst dein Angebot nicht mehr „einfach so“ verkaufen wie bisher
- Du musst prüfen, positionieren und dich rechtlich absichern
- Und du darfst dich fragen: Welcher Weg passt zu mir?
Wichtig ist: Du musst das nicht allein tun.
Mein persönlicher Rat: Hol dir rechtliche Klarheit, bevor du Anpassungen machst
Wie gesagt: Dieser Artikel ist keine Rechtsberatung, sondern ein Überblick und Impuls für dich.
Wenn du’s ganz konkret brauchst (und das solltest du!), möchte ich dir meinen Kollegen und Freund, den Rechtsanwalt Notash Taheri ans Herz legen.
Ich empfehle dir von Herzen:
Sprich mit jemandem, der sich mit dem Thema wirklich auskennt und dabei versteht, wie die Coaching-Welt tickt.
Ich selbst arbeite in diesem Kontext mit Notash Taheri, einem spezialisierten Rechtsanwalt für Online-Business.
Er bietet aktuell ein strukturiertes Gespräch an, in dem du gemeinsam klären kannst:
- Muss dein Angebot ZFU-zertifiziert werden – oder nicht?
- Welche Änderungen wären sinnvoll?
- Wie kannst du dich rechtssicher aufstellen, ohne deine Freiheit zu verlieren?
Und er begleitet dich auch in dem Zertifizierungsprozess, wenn du dich dafür entscheidest.
Denn, wenn du dich zertifizieren lassen möchtest, mach es nicht alleine.
Mein persönlicher Blick: Der Markt sortiert sich neu und wir müssen mitgehen
Aus meiner Sicht kommst du als Coach langfristig nicht mehr an einer ZFU-Zertifizierung vorbei, zumindest dann nicht, wenn du mit einem strukturierten Programm dauerhaft am Markt bestehen willst.
Und ich sage das nicht, weil ich begeistert davon bin. Ganz im Gegenteil:
Es fühlt sich unbequem an, teuer, starr und in vieler Hinsicht auch wie ein Widerspruch zur freien, menschlichen Art zu arbeiten, die viele von uns gewählt haben.
Aber: Der Markt bewegt sich gerade in diese Richtung, ob es uns gefällt oder nicht.
Und wer dauerhaft sichtbar bleiben, Vertrauen aufbauen und professionell verkaufen will, wird diesen Schritt früher oder später gehen müssen.
Ich glaube:
Das Coaching, wie wir es die letzten Jahre kannten – frei, leicht, oft auch ein bisschen improvisiert – wird in dieser Form nicht überleben.
Programme ohne Siegel, ohne Zertifikat, ohne rechtlich sauberen Rahmen werden es künftig schwer haben, wettbewerbsfähig zu bleiben – erst recht im Vergleich zu jenen, die sich zertifizieren lassen und damit ein sichtbares Qualitätsversprechen abgeben.
Das klingt hart.
Aber es kann auch eine Chance sein, für mehr Klarheit, Qualität und echtes Commitment im Coaching.
Wir müssen nur entscheiden, ob wir bereit sind, diesen nächsten Schritt zu gehen.
Deine Nicole